Sonntag, 19. August 2012

Begegnungen, erst im Westen, dann im Osten


Was war denn an diesem Wochenende an der Tillystraße, Im Grünen Winkel, am Güterplatz oder im Ostpark los? Es hagelte Überraschungen, dieses Mal eher negative, aber der Reihe nach.
Trinkhalle Tillystraße, wir befinden uns an einer dieser Legenden in Frankfurt. Alle, die behaupten, die Tillystraße befindet sich in Höchst, von wegen Nidda als Grenze, Leute Ihr irrt, glaubt den „locals“ am Kiosk, sie wissen Bescheid. Die Tillystraße ist in Nied.
Treff 14:30 Uhr. Hubert lässt mich etwas warten, er kommt vom Vereinsfest der kleinen Gärtner in Eschersheim. Die Presse wartet schon, nur auf uns. Und die Presse hat keine Zeit, nächster Termin für sie 15:30 in Eschborn: „Trinkhallen gibt es mmer weniger, ja viel Arbeit mit dem Quartett, aja fürs Höchster Kreisblatt, nur für Höchst? Also ja Diplomarbeit und hier der Blog, unbedingt rein in den Artikel...“ „Könnt Ihr mal das Maßband halten?“ So jetzt und Kamera, knips-knips-knips-knips-knips-knips-knips-knips-knips-knips 50 Bilder in der Sekunde. Das hätten wir geschafft. Die Presse schreibt jetzt alles auf.

Trinkhalle an der Tillystraße
 „Das Kiosk in der Birminghamstraße ist abgebrannt. Könnt Ihr mir sagen, wer so was macht?“ „Tja wer macht so was bloß“ „Ich habe da so ne Geschichte gehört.... – die machen die Trinkhalle auch nicht wieder auf. Wisst Ihr wer das war?“ Wir befürchten in den Kreis der Tatverdächtigen aufgenommen zu werden. „Wir sind doch für die Kioske!“ „Birmingamstraße, die ist abgebrannt – was sind das bloß für Leute?“ „Ist das die Trinkhalle, die so ein bisschen versteckt im Grünen ist?“ „Wisst Ihr wieso Leute die Kioske abbrennen?“
„Hubert, wir fahren in die Eisenbahnersiedlung – Kiosk im Grünen Winkel“ Fahrradreifen platt – Schiebung! Da hilft auch kein E-Bike. Wir schieben in den grünen Winkel. An der Oeserstraße steht das Schild mit dem Pfeil zum Kiosk Im Grünen Winkel, das Schild steht noch, die Wasserhütte auch, aber sie steht leer, seit fünf Jahren. Der Pachtvertrag lief aus, der Pächter hat nicht verlängert, das Häuschen ist geschlossen, so einfach ist das manchmal. So richtig vermissen die Anwohner die Trinkhalle nicht. Ein Hausmeisterbüro soll dort nun einziehen. Ein Anwohner spendet Huberts Fahrrad Luft, mal gucken wie weit wir kommen.

Das zukünftige Hausmeisterbüro in Nied?

Früher hieß der Güterplatz Güterplatz, weil nebenan Güter am Güterbahnhof verladen wurden. Heute beginnt dort die Europaallee. Die Trinkhalle, ein klassischer Jöst-Rundbau, die sich vor Jahren in eine Kneipe verwandelte, wurde vor wenigen Wochen eingerissen, ohne Bürgerinitiative. Irgendwann wird dort sicher ein Neubau entstehen, fünf Stockwerke plus x, halt was größeres.

Die Trinkhalle am Güterplatz 1993, Foto Gloss aus seinem riesigen Archiv

Reste der Trinkhalle am Güterplatz, 2012
 Was geht denn so im Osten? „Ja, auf jeden Fall feiert die Trinkhalle am Franziusplatz heute ihren 100. Geburtstag.“ Anbei HAPPY BIRTHDAY!!! Der Franziusplatz ist direkt hinter der Honsellbrücke, die es eigentlich zurzeit nicht gibt, den Franziusplatz gibt es aber noch. Also in den Osten der Stadt. Am Häuschen wird heute nicht gefeiert. Geöffnet ist es von Montag bis Freitag, ich glaube von 5:45 – 14 Uhr. Mittlerweile ist es ein Imbiss, ich vermute für im HafenArbeiter oder LKW-Fahrer.

Der Imbissam Franziusplatz
Ostpark, es ist heiß. Am Häuschen steht ein Grill, formidable Idee, am Tisch nebenan sitzt der Stammtisch. „Oh der Italienischstammtisch tagt, zwei Pommes, einmal rot, einmal weiß.“ „Italienisch? – bei uns kommt jeder.“ Aha ein offenes Tagungshotel.
Die Pommes sind wie sie sein müssen, sie sind geriffelt, leicht fettig, kross, mit Paprikasalz, sie sind großartig und das Beste was man bei 30 Grad im Schatten bekommen kann. Was mich enttäuscht: Einer der Tagungsgäste geht mit seiner geballten Hand das Gesicht seines Nachbarn besuchen, dieser liegt gleich am Boden, der andere holt noch mal Schwung mit seinem Fuß. Jetzt greift ein Tagungsgast ein. Der Wirt macht wenig. Für mich wäre an der Stelle ein Feldverweis angezeigt gewesen. Die Geschichte trübt die wirklich guten Pommes.

Im Ostpark wird überall gegrillt

Dienstag, 14. August 2012

Ackermannstraße


In den 1970er Jahren, vielleicht auch früher, standen gegenüber zwei Wasserhäuschen, vielleicht eine für die lokale Bevölkerung und eine für die Früh-, Spät- und Nachtschicht der Telenormawerker. Wer weiß schon wie das mal war.
Telenorma steht für Telephonbau und Normalzeit, das Logo ist ein ineinander geschriebenes T und N. An manchen Bahnhofsuhren sieht man es noch. Wie auch immer, Telenorma ging, eine Trinkhalle blieb und mit ihr die Chefin, die gerade Zigaretten von der Straße fegt: „Mir schpresche hier nur frankfodderisch und nur auf Wunsch aach e mal deutsch.“ Die Zigarettenstummel auf der Schaufel und werden dem Gast angeboten: „Willstes in die Tasch?“ Mit der Wasserhäuschenkultur nimmt man es in der Ackermannstraße sehr genau: „Aan Imbiss is kei Trinkhall, es gab Trinkhallen, es gab Wasserhäuschen, aber aan Imbiss iss kei Trinkhall.“
Auftritt eines Malers. Sein Gang führt ihn von der Baustelle direkt ans Häuschen, sein Äußeres hat er für diesen Gang noch nicht restauriert. Sein Blick aufs Wasserhäuschen gleicht dem Blick in eine Wundertüte. Zum ersten Mal steht er am Tresen, er kommt aus Leipzig, ist auf Montage in Frankfurt und der Bauleiter hat ihn gerade frei gestellt. Jetzt braucht der Maler Medizin. Die gibt’s am Wasserhäuschen, wohl bekomms.

Ackermannstr. 2, Öffnungszeiten Dienstag bis Sonntag 9-21 Uhr

Ehemaliges Wasserhäuschen in der Ackermannstraße, die Originalpostkarte hängt im neuen Kiosk in der Ackermannstraße

Sonntag, 27. Mai 2012

Der Bart ist echt, hinten die Trinkhalle von Ratomir


Wasserhäuschen von Ratomir Cverovic

Es nieselt an diesem Tag, so empfängt uns erst einmal nur die Reklame der Bildzeitung. Der Wirt lässt sich vom Fernseher die Bundesliga vom Vortag zusammenfassen. Bei diesem Wetter hat er seinen Stammplatz im Hinterraum, der gleichzeitig Wohnzimmer und Küche ist. Ratomir suchte einst sein Glück auf Deutschlands Baustellen, seit über 40 Jahren heißen Cevapcici für ihn nun Frikadellen. Fünf Jahre Bau waren ihm genug und er legte die Kelle beiseite. Statt Steinen schleppt er nun Kisten und steht hinter einem Tresen. Vor 35 Jahren lief das Geschäft, 20.000 DM musste er als Eintrittpreis für die Selbständigkeit zahlen. Seit dem ist er Trinkhallenpächter.
Den Kaffee serviert er in der Porzellantasse, die er auch als Kaffee-Service verkauft. Er verkauft auch Damenschuhspanner, das Stück für 1,99 Euro. Die Kühlschränke müssten das gleiche Lebensalter wie das Häuschen haben: 1950er Jahre, gebaut von Firma Jöst. Damit ist es einer der ältesten, die in diesem Zustand in Frankfurt existieren. Die Thekenlänge entspricht noch damaligen Notwendigkeiten, fast acht Meter. Trinkhallenhistoriker freuen sich, wenn sie unter dem Lack an einigen Stellen die originale rote Jöst-Lackierung erkennen. Auch selten, aber nützlich ist das im Verkaufsraum hängende Waschbecken, zum Obst waschen, zum Zähne Putzen, für Kaffeewasser.
Der Gast neben uns nennt sich „der Rauschebart“. Der Rauschebart braucht für den Bundesligatipp ein Bier. Dabei fällt ihm der letzte Woche gewonnene 500 Euro Schein aus dem zerknitterten alten Tippschein „Ach hier isser, ich hatte ihn schon gesucht.“ Vor Jahren hatte er noch Anteile bei der Berliner Eastsidegallerie, die „heute mit Geldscheinen gepflastert“ ist. Er kennt sich aus in Frankfurt, „ich brachte auch damals die zwei Trinkhallenräuber, die Frau Hoff mit einer Waffe bedrohten zur Strecke“ und beißt dabei in die Blutwurst. Die Eastsidegallerie hat bis heute kein Bild von ihm. Sein Hund beobachtet die Szene und verweist Ungebetene kurz und präzise des Feldes. Er weiß wer hierher gehört.
Neben der Trinkhalle ist eine Schule, Kinder finden jedoch selten den Weg zu Ratomirs Fruchtgummis. Es sieht ganz so aus, als blieben die auf den Kühlschränken gestapelten Papiertüten noch lange ungenutzt. Wahrscheinlich wird Ratomir der letzte Betreiber dieser Trinkhalle sein.

Öffnungszeiten täglich 10-22.30 Uhr, Berkersheimer Weg 32a

Dienstag, 8. Mai 2012

Ganz originales Glas


Johanna Teschplatz, bei Pedro


Auf dem Johanna Tesch Platz, gegenüber des Stadions am Bornheimer Hang, am Eingang zur Siedlung Riederwald, die zwischen 1909 und 1912 vom Volks-Bau- und Sparverein Frankfurt am Main errichtet wurde, verkauft Pedro täglich Zigaretten, Zeitung, Bier oder Süßes an jene Bewohner, die den Sozialdemokraten in Frankfurt am ehesten die Treue halten. Wie soll es auch anders sein, wenn die ersten Buchstaben die jeder Grundschüler lesen kann, Lasalle- oder Karl Marx Straße heißen. Widerstand liegt im Blut, man diskutiert über die am Sonntagmorgen stattfindende Demonstrationen gegen die Baumaßnahme Riederwaldtunnel. Noch geht es um den Schutz von vier Kastanien. Dass es beim Bau von vierspurigen Asphaltbahnen meist nicht bei diesen Auswirkungen bleibt, zeigt sich auch daran, dass der Tunnelausgang der verlängerten Autobahn gut einhundert Meter von Pedro entfernt liegen müsste. Wer sitzt dann auf den Stühlen, die an zwei Wänden von Pedros Häuschen lehnen? Vielleicht findet sich auch darin der Grund, warum der Trinkhalleneigentümer, meist ist es ein großer Lebensmittelkonzern, den viele als Produzent von Kuchenfertigmischungen kennen, keine Handwerker an dieser Hütte vorbeischickt. Zumindest die Farbe ist arg traditionell. Auch die Holzmarkisen sind ganz alte Schule und damit schön. Oder liegt es an der fehlenden Hausnummer, die Pedros Trinkhalle wie andere viele freistehenden Trinkhallen ein fach nicht hat. Seine offizielle Adresse Johanna Tesch Platz o.N. „O.N.“ steht für ohne Nummer.
Eine Trinkhalle könnte an jener Stelle schon vor dem zweiten Weltkrieg gestanden haben, dieser Bau stammt vermutlich aus den frühen 1960ern, er trägt klassische Fliese in beige. Pedro ist Italiener, aus Palermo, er ist Italiener und Sizilianer. Klimaanlagen hat er früher für Teves gebaut, den Namen der Firma gibt es nicht mehr. Erst hatte er ein Lokal in Oberrad und jetzt steht er in dieser Bude. Seit fast 20 Jahren holen sich bei ihm die Kunden die Bildzeitung, die derzeit mit der Aktion „Zehn, zahlen, 12 lesen“ nicht nur bei Pedro beworben wird. Eine Rettungsaktion für Kioske oder für das gedruckte Wort?
Die an Kordeln hängende Jägermeister- und Hochstädterreklame verspricht diversen Kaffeegenuss, wir sind zu Gast bei Italienern, was eine Kundin nicht von abhält den kleinsten Geldschein mit der Aufforderung „Mach mir zwei“ zu geben. Von Latte Macchiato sprach sie nicht. Pedro, ein letzter Gruß, wir fahren in die Motzstraße von früher die Ilse Herzog das Regiment auf Trab hielt.
(Pedros Wasserhäuschen, Johanna Tesch Platz, Öffnungszeiten Mo-Do 6-22 Uhr, Fr 6-22.30 Uhr, Sa 8-22.30 Uhr, So 9-22 Uhr)